Du möchtest in deinem Team eine Feedbackkultur etablieren? Dann sind regelmäßige Retrospektiven ein super Werkzeug. Mit einer Retrospektive kannst du fachliche und zwischenmenschliche Themen in deinem Team unter die Lupe nehmen, daraus lernen und Verbesserungen ableiten. Mit dieser Schritt-für-Schritt-Anleitung gelingt dir die Durchführung einer Retrospektive ganz leicht:
1: Definiere den Fokus der Retrospektive
Bei einer Retrospektive – auch Retro genannt – schaut ihr gemeinsam als Team auf ein Projekt oder einen Zeitraum der Zusammenarbeit zurück. Die Idee der Retro ist es, durch den Rückblick interessante Erkenntnisse zu gewinnen – und daraus für die Zukunft und die weitere Zusammenarbeit zu lernen. Damit eure Retro einen möglichst konkreten Nutzen bringt, solltet ihr vorab einen Fokus definieren. Worauf genau wollt ihr zurückblicken?
- ein Projekt, das jetzt abgeschlossen ist?
- ein bestimmter Zeitraum (z.B. die ersten Wochen mit der neuen Führungskraft, oder die vergangenen 4 Wochen im Projekt)
- ein Prozess?
- die Zusammenarbeit mit einem anderen Team oder einem externen Partner?
Je klarer der Fokus abgegrenzt ist, desto konkreter werden die Ergebnisse. Und je konkreter die Ergebnisse, umso leichter ist es, daraus tatsächlich auch zu lernen und Verbesserungen abzuleiten.
Tipp: Den Fokus der Retro solltest du bei der Einladung zur Retro auch den Teilnehmenden kommunizieren – so können sie sich bereits innerlich darauf einstellen und erste Gedanken machen, was gut und weniger gut gelaufen ist.
2: Bestimme den Teilnehmerkreis der Retro und verschicke die Einladung
Der Teilnehmerkreis für deine Retro sollte sich auf die Leute beschränken, die einen Beitrag zum gewählten Fokus leisten können. Prinzipiell gilt für die Gruppengröße: so klein wie möglich, so groß wie nötig.
Bei einer Retrospektive sollen auch „Pleiten Pech und Pannen“ auf den Tisch kommen. Dazu braucht es ein vertrauensvolles Umfeld. Das entsteht leichter, wenn die Gruppe möglichst überschaubar ist.
Und wenn keine „Zaungäste“ mit dabei sind, die selbst gar nicht im Projekt oder im konkreten Zeitraum involviert waren. Das kann nämlich schnell dazu führen, dass sich die Teilnehmenden beobachtet fühlen. Und schwuppdiwupp ist die Offenheit dahin – die braucht es aber, damit die Retrospektive gute Ergebnisse liefert.
Tipp: ein guter Richtwert für die Teilnehmerzahl sind 6-8 Personen sein.
Zeitrahmen
Wenn die Teilnehmenden feststehen, kannst du direkt die Einladung verschicken. Der Zeitrahmen variiert je nach gewähltem Fokus, Teilnehmerzahl, und wie gut die Teilnehmenden vorbereitet sind. 60–90 min ist in den meisten Fällen ein guter Richtwert.
Tipp: Im Zweifel lieber etwas länger einplanen und etwas früher fertig sein, statt in Zeitnot zu geraten.
Präsenz oder digital?
Beides ist möglich. Persönlich finde ich, dass eine Retro immer einen Präsenztermin wert ist, weil sie eine gute Möglichkeit zum Vertrauensaufbau bietet. Aber auch Online oder Hybrid-Formate sind möglich. Dann ist ein digitales Whiteboard (z.B. Miro oder Mural) hilfreich.
3: Wähle eine Retrospektive Methode
Mit der Wahl einer Retrospektive Methode entscheidest du dich für bestimmte Fragestellungen, die ihr während der Retro bearbeitet. Es gibt viele verschiedene Varianten.
Welche du auswählst, kommt auf den Fokus an, den zu setzen möchtest. Und ein bisschen ist es auch Geschmackssache. Hier sind vier bewährte Retro Methoden, die sich für viele Themenstellungen eignen:
Stop, Start, Continue 🛑▶️✅
Diese Methode eignet sich gut für laufende Prozesse oder Projekte; sie bietet Raum für viele Erkenntnisse – kommt aber eher sachlich daher.
Die Fragestellungen dieser Methode:
Wenn wir auf (den definierten Fokus, z.B. die letzten Wochen im Projekt) schauen…
- STOP: Was sollten wir künftig nicht mehr machen?
- START: Was sollten wir ab sofort (anders) machen?
- CONTINUE: Was sollten wir beibehalten, weil es gut funktioniert?
Mad, Sad, Glad 😡😢🙂
Mit dieser Methode förderst du gezielt Emotionen zu Tage. Der Blick wird nicht nur auf sachliche Themen gelenkt, sondern lädt auch dazu ein, emotionale Themen und Zwischenmenschliches anzusprechen.
Die Fragestellungen dieser Methode:
Wenn wir auf (den definierten Fokus, z.B. die letzten Wochen im Projekt) schauen…
- MAD: Was macht mich wütend oder verrückt?
- SAD: Was macht mich traurig?
- GLAD: Was macht mich glücklich?
Gut, Anders, Gelernt, Noch nicht verstanden
Diese Methode legt den Fokus stark auf das Lernen und Verstehen wollen. Deshalb ist sie gut geeignet, wenn eine Retro mit anderen Abteilungen oder Schnittstellen durchgeführt wird, wo das Vertrauensverhältnis eher gering und die Angst, Fehler zuzugeben eher groß ist.
Die Fragestellungen dieser Methode:
Wenn wir auf (den definierten Fokus, z.B. die letzten Wochen im Projekt) schauen…
- GUT: Was lief richtig gut?
- ANDERS: Was sollten wir künftig anders machen?
- GELERNT: Was haben wir gelernt?
- NOCH NICHT VERSTANDEN: Was sollten wir noch mal genauer beleuchten, weil wir es noch nicht verstanden haben?
Starfish ⭐ Retro Methode
Diese Methode ist eine erweiterte Form der Start-Stop-Continue Methode. Sie wird Seestern (oder Englisch Starfish) genannt, weil die 5 Kategorien an den 5 Armen eines Seesterns dargestellt werden können.
Die Fragestellungen dieser Methode:
Wenn wir auf (den definierten Fokus, z.B. die letzten Wochen im Projekt) schauen…
- KEEP: Was sollten wir beibehalten?
- STOP: Womit sollten wir aufhören?
- START: Womit sollten wir starten?
- MORE: wovon sollten wir mehr tun?
- LESS: wovon sollten wir weniger tun?
4: Sorge für ein psychologisch sicheres Umfeld
Das oberste Ziel einer Retro ist es, aus der Vergangenheit zu lernen und für die weitere Zusammenarbeit Verbesserungen abzuleiten. Deshalb ist es ausdrücklich gewünscht, dass Dinge besprochen werden, die nicht so ideal gelaufen sind.
Allerdings fällt das vielen Menschen schwer. Und das nicht ohne Grund: werden wir doch schon in der Schule drauf getrimmt, möglichst alles richtig zu machen und Fehler zu vermeiden. Deshalb geben die meisten Menschen im Arbeitsalltag nicht gerne zu, dass ihnen etwas nicht gut gelungen ist. Und viele schrecken auch davor zurück, andere auf ihre Fehler hinzuweisen, weil sie ihren Kolleg*innen nicht auf die Füße treten wollen.
Damit in einer Retrospektive also auch Pleiten, Pech und Pannen offen auf den Tisch kommen, musst du erst mal eine vertrauensvolle Umgebung herstellen, in der sich die Teilnehmenden sicher genug fühlen, um auch kritische Themen anzusprechen.
Dies erreichst du mit dem entsprechenden Stagesetting zu Beginn der Retro. Dazu kannst du diese Formulierung nutzen:
„Unabhängig von dem, was wir entdecken werden, glauben wir, dass jeder sein oder ihr Bestes gegeben hat – unter Berücksichtigung des Timings, seiner oder ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen, der zur Verfügung stehenden Mittel und der Situation.“
Tipp: Diese Formulierung solltest du idealerweise gut sichtbar im Raum aufhängen, damit du bei Bedarf immer wieder darauf verweisen kannst.
5: Führe die Retrospektive durch
Stagesetting:
- Bedanke dich, dass alle gekommen sind
- Setze den Fokus der Retro: welchen Zeitraum oder welches Projekt/Prozess betrachtet ihr gemeinsam?
- Betone, dass es darum geht, gemeinsam zu lernen – nicht darum, Schuldige zu finden oder mit dem Finger aufeinander zu zeigen; bringe hier die Formulierung aus Punkt 4 ein
- Gib Raum für Fragen oder etwaige Bedenken
Input sammeln:
- Stelle deine gewählte Retro-Methode mit den Fragen vor; klebe die Fragestellungen mit Post-Its an die Wand, so dass sie für alle sichtbar sind (im digitalen Set-Up auf dem digitalen Whiteboard)
- Bitte die Teilnehmenden, zunächst jeder für sich alleine alle Punkte zu notieren, die ihnen zu den Fragen einfallen. Im Präsenzformat auf Post-Its. Im digitalen Setting können die Teilnehmenden direkt auf das digitale Whiteboard schreiben.
- Setze dafür ein Zeitlimit (ca. 10-15 min) und schaue, ob evtl. mehr Zeit benötigt wird oder alle schon früher fertig sind.
Erkenntnisse gewinnen:
- Bitte die Teilnehmenden nacheinander, ihren Input mit allen zu teilen.
- Klebt dazu die Post-Its zu den jeweiligen Fragestellungen an die Wand.
- Ähnliche Punkte können direkt zueinander geklebt werden und damit geclustert werden.
Ergebnisse reflektieren
- Wenn alle ihren Input eingebracht haben, schaut gemeinsam auf die Ergebnisse.
- Was fällt auf? Was überrascht? Wo besteht dringender Handlungsbedarf?
- Leitet Maßnahmen ab: Welche Themen wollt ihr unbedingt angehen?
- Was ist kurzfristig und leicht zu beheben? Was dauert wahrscheinlich eher länger und ist schwieriger?
- Haltet fest, was ihr angehen wollt. Bestimmt einen Verantwortlichen und idealerweise eine Deadline.
7: Abschluss und nächste Schritte
- Beende die Retro mit einer kurzen Rückmeldung zum Prozess: wie haben die Teilnehmenden die Retro erlebt?
- Was war gut, was war eher schwierig, was sollte beim nächsten Mal vielleicht anders laufen?
- Bedanke dich bei den Teilnehmenden für ihre Offenheit und ihren Beitrag
- Stelle sicher, dass jeder weiß, was mit den Ergebnissen der Retro passiert und wann und wie die Maßnahmen nachgehalten werden.
Mit dieser Anleitung gelingt dir deine Retro bestimmt. Wenn du darüberhinaus ein Sparring zu einem Workshopformat brauchst oder ein anderes Thema rund um effektive Zusammenarbeit in deinem Team besprechen möchtest – dann kontaktiere mich gern.
Liebe Evelyn!
Danke für den interessanten Blogartikel mit den spannenden Tools, die ich auch als Gymnasiallehrerin gut verwenden kann für Feedback-Runden und einen Rückblick zum Schulende.
Viel Freude weiterhin in deinem Tun…
Claudia
Liebe Claudia – freut mich, wenn der Artikel für dich hilfreich war. Und ja – die Methoden lassen sich ganz vielfältig einsetzen. Klasse, wenn du das im Schulumfeld einsetzen kannst.
Herzliche Grüße,
Evelyn