Ein Mann im T-Shirt in zweifelnder Pose: Hand am Kinn und Blick nach links oben gerichtet.

Bin ich eine schlechte Führungskraft?

Gab es mal einen Moment, in dem du dich gefragt hast, ob du eine schlechte Führungskraft bist? Wenn ja – dann bist du in bester Gesellschaft.

Ich selbst habe mir diese Frage in meinem Berufsleben immer mal wieder gestellt. Und ich arbeite mit vielen Führungskräften, die sich diese Frage insgeheim auch stellen. Vor allem dann, wenn sie heftigen Gegenwind von ihrem (neu übernommenen) Team bekommen. Oder wenn das Feedback der Mitarbeiterbefragung nicht so prickelnd ausgefallen ist.

Öffentlich besprochen wird die Frage eher selten. Schließlich will niemand gern vor anderen Schwäche zeigen oder die eigene Position in Frage stellen.

Ob du eine schlechte Führungskraft bist oder nicht, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Aber kleiner Spoiler: wenn du dir die Frage schon mal gestellt hast, dann stehen die Chancen gut, dass du vielleicht sogar eine sehr gute Führungskraft bist.

Denn du scheinst auf jeden Fall schon mal die Gabe zu haben, dich selbst zu hinterfragen. Und damit auch die Bereitschaft, zu lernen und besser zu werden. Ich verlinke den Artikel mit der Blogparade „Cheferfahrungen“ von Andrea Sam, die mich mit ihrem Aufruf zu dem Artikel inspiriert hat.

Gute oder schlechte Führungskraft: wer entscheidet das überhaupt?


Die Erwartungen, die an Führungskräfte gestellt werden sind ungeheuer vielfältig: aus Unternehmenssicht gibt es klare Anforderungen. Auch Mitarbeitende haben Erwartungen an ihre Führungskraft. Oft sind das nicht dieselben.

Unter den Mitarbeitenden gibt es noch mal ganz unterschiedliche Erwartungen. Der Unsichere, Zurückhaltende wünscht sich vielleicht eine Führungskraft mit breitem Kreuz, die alle Entscheidungen trifft und lauernde Konflikte großflächig abräumt. Die Selbstbewusste, Proaktive wünscht sich eher eine Führungskraft, die ihr möglichst viel Freiraum gibt und sich nicht weiter einmischt.

Allein das zeigt schon, dass es gar nicht so einfach ist zu entscheiden, was denn nun eine gute oder schlechte Führungskraft ist. Denn es kommt immer auf den Blickwinkel und die jeweiligen Interessen an:

Führungskräfte sollen….

  • Strategien umsetzen – und die Mitarbeitenden dabei „mitnehmen“.
  • dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden Ziele erreichen, effizient arbeiten und innovativ sind – aber sie dabei nicht überfordern.
  • die richtigen Mitarbeitenden auswählen, entwickeln und bei der Stange halten – aber sich auch nicht von ihnen auf der Nase rumtanzen lassen.
  • für die Einhaltung von Regeln und Prozessen sorgen – aber bitte nicht zu sehr mit Bürokratie nerven.
  • ihren Verantwortungsbereich im Griff haben – und gleichzeitig ihren Mitarbeitenden genug Freiraum geben.
  • die neusten Trends und Entwicklungen ihres Fachgebiets auf dem Schirm haben – und stets genug Zeit für die Probleme ihrer Teams haben.
  • fachlich Ahnung haben – aber sich nicht zu sehr ins Detail einmischen und bitte bloß kein Micromanagement betreiben.
  • vorausschauend handeln – aber auch beherzt zugreifen, um akute Probleme aus dem Weg schaffen.
  • Veränderungen umsetzen – aber nicht zu viel Unruhe und Verunsicherung stiften.

Die Liste lässt sich noch endlos erweitern. Diese Beispiele machen deutlich, dass Führen immer ein Balanceakt ist. Es gibt kein schwarz oder weiß. Es geht immer darum, unterschiedliche Erwartungen auszutarieren. Führungsarbeit hat Impact auf „die Sache“ und Impact auf die Menschen. Das herausfordernde an Führung ist, immer wieder neu zu entscheiden, was gerade mehr Gewicht hat.

Mir kommt dabei immer wieder dieser Satz in den Sinn: „Leadership is an art – not an exact science“. Er stammt aus einem Brief, den der ehemalige LEGO CEO Jørgen Vig Knudstorp (ein wie ich finde extrem beeindruckender Leader) an seine Führungskräfte geschrieben hat.

Leadership is an art – not an exact science.

Jørgen Vig Knudstorp
(ehemaliger LEGO CEO)

Ich finde den Satz sehr ermutigend. Denn er nimmt das „richtig oder falsch“-Dogma aus der Führungsarbeit. Über Kunst lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Jede*r Kunstschaffende hat einen ganz eigenen Stil. Und nicht jedes Kunstwerk findet bei allen Betrachtenden Anklang. Und so gibt es auch bei Führung unterschiedliche Stilrichtungen und viele Wege, die zum Ziel führen. Und je nach Situation passt das eine vielleicht grade besser als das andere.

Natürlich soll das jetzt kein Freibrief sein, dass in Sachen Führung erlaubt ist, was gefällt. Aber ich finde, es nimmt ein bisschen den Druck raus. Denn was eine gute oder eine schlechte Führungskraft ist, kommt immer auch auf die Perspektive, die konkrete Situation und die beteiligten Persönlichkeiten an.

Wenn du dich also fragst, ob du eine schlechte Führungskraft bist, dann frag immer auch: aus welchem Blickwinkel?

Eine „Führungs-Kraft“ soll führen und braucht Kraft.


Die Frage „gute oder schlechte Führungskraft“ ist also gar nicht so leicht zu beantworten. Nähern wir uns der Frage mal von einer anderen Seite – indem wir uns das Wort „Führungs-Kraft“ vorknöpfen: eine gute Führungskraft soll führen. Und sie braucht Kraft.

Kraft brauchen Führungskräfte, um …

  • Entscheidungen zu treffen – auch unpopuläre
  • Konflikte auszuhalten
  • Nein zu sagen
  • Mitarbeitende zu stärken und zu unterstützen
  • Haltung zu zeigen

Kraft brauchen Führungskräfte nicht nur in die Organisation hinein – sondern auch dem eigenen Team gegenüber.

Eine gute Führungskraft zu sein heißt nicht, dass dein Team immer alles großartig findet, was du tust. Es heißt nicht, dass dir dein Team immer zujubelt. Und du bist auch keine schlechte Führungskraft, wenn dein Team mit deinen Entscheidungen nicht einverstanden ist und ihr euch hitzige Debatten im Team liefert.

Wie würdest du deine Führungs-KRAFT einschätzen? Wo ist sie stärker – wo vielleicht schwächer ausgeprägt?

Führen bedeutet:

  • Orientierung und Richtung vorgeben
  • klare Erwartungen formulieren – und einfordern
  • eine Umgebung schaffen, in der dein Team gut arbeiten kann
  • Zusammenarbeit so organisieren, dass gute Ergebnisse möglich werden
  • manchmal vorangehen, und Hindernisse aus dem Weg räumen
  • manchmal auch bewusst im Hintergrund bleiben und andere voran gehen lassen

In einer Welt, die immer komplexer und unvorhersehbarer wird, bedeutet Führen auch immer häufiger: nicht alles zu wissen – und bereit sein zu lernen.

Welche Aspekte von Führen fallen dir besonders leicht? Womit haderst du vielleicht manchmal?

Was ich persönlich an guten Führungskräften geschätzt habe – und was schlechten Führungskräften fehlt


Vielleicht hatte ich in meiner beruflichen Laufbahn einfach viel Glück – oder ich bin gut im Verdrängen. Vielleicht hab ich auch schlechte Erfahrungen immer als positive Lernerfahrung abgespeichert – oder meine Führungskräfte einfach „gut erzogen“.

Rückblickend würde ich sagen, dass ich nie eine richtig schlechte Führungskraft gehabt habe. Sicherlich war ich öfter mal genervt – und vielleicht auch mal stinksauer. Ab und zu hat mir auch mal was gefehlt – oder ich fand die ein oder andere Anforderung oder Reaktion etwas „drüber“. Aber im Großen und Ganzen würd ich sagen, dass ich nie eine schlechte Führungskraft hatte.

Eine „schlechte Führungskraft“ ist für mich eine, die all das vermissen lässt, was ich an „guten Führungskräften“ geschätzt habe.

Was ich bei guten Führungskräften geschätzt habe

  • Sie haben mir das Gefühl gegeben, willkommen zu sein und in Ordnung, so wie ich bin.
  • Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte – egal was kommt.
  • Sie haben sich menschlich gezeigt, in dem sie selbst Persönliches geteilt haben – auch Schwächen.
  • Sie haben aufrichtig Anteil an persönlichen Themen genommen und mich in schwierigen Phasen unterstützt – z.B. bei der Krankheit und beim Tod meines Vaters.
  • Sie haben an mich, meine Fähigkeiten und mein Potenzial geglaubt – manchmal mehr als ich selbst.
  • Sie haben mir etwas zugetraut – manchmal auch etwas zugemutet, und mich dadurch wachsen lassen.
  • Sie hatten Humor.
  • Sie haben sich selbst nicht allzu wichtig genommen – und haben dennoch (oder gerade deshalb?) Stärke ausgestrahlt.
  • Sie hatten kein Problem damit, nicht alles zu wissen: wie waren neugierig, interessiert an anderen Perspektiven und lernbereit.
  • Sie waren klar – und wenn’s sein musste auch sehr deutlich.
  • Sie konnten gut und verständlich erklären, was jetzt wichtig ist und warum – und was sie erwarten.
  • Sie waren ehrlich – auch wenn’s manchmal hart war.
  • Sie haben mir den nötigen Freiraum gegeben, um gut arbeiten zu können – und waren immer da, wenn ich Unterstützung brauchte.
  • Sie haben Dinge nachgehalten und Verbindlichkeit hergestellt.
  • Sie waren auch mal streng.
  • Sie waren manchmal auch nervige Korinthenkacker – wenn’s um Schriftgrößen und Farben auf Powerpoint Folien ging oder Ablauf und Details von Konferenzen (aber im Nachhinein bin ich auch dafür dankbar!)
  • Wir konnten uns auch mal zoffen – und später wieder umso besser zusammen arbeiten.

Was für mich schlechte Führungskräfte ausmacht


Im Umkehrschluss machen schlechte Führungskräfte all das nicht, was ich an guten Führungskräften geschätzt habe.

Zusammenfassen lässt sich das vielleicht so:

  • Man weiß nicht, woran man ist.
  • Sie fördern durch ihr Verhalten ein Klima von Vorsicht, Absicherung und Angst.
  • Sie nehmen wenig Rücksicht auf die persönlichen Belange der Mitarbeitenden.
  • Sie lassen keine Nähe zu und gewähren keinerlei Einblick in ihr persönliches Leben.
  • Sie würden niemals eine Schwäche oder einen Fehler zugeben.
  • Sie sind nicht bereit, zuzuhören und wissen alles besser.
  • Sie tun sich schwer damit, ihre Erwartungen klar zu äußern – und neigen zu Micromanagment, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.
  • Sie legen viel Wert auf Hierarchie und ziehen sich eher zurück, statt sich „unters Volk“ zu mischen.

Fazit


Es ist gut, wenn du dich ab und zu fragst, ob du vielleicht eine schlechte Führungskraft bist. Denn das bringt dich zum Reflektieren – und zum Lernen. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Denn es kommt immer auf die Perspektive und den Kontext an, was gute Führung und eine gute Führungskraft ausmacht.

In einer Welt, die immer komplexer und unvorhersehbarer wird, ändern sich auch die Anforderungen an gute Führung ständig und sind nicht schwarz oder weiß.

In unserer VUKA (Volatil, Unsicher, Komplex, Ambiguität) und BANI Welt (Brittle, Anxious, Non-linear, Incomprehensible) sind immer weniger Probleme allein mit dem Fachwissen einer Person oder Macht zu lösen.

Eine schlechte Führungskraft ist sicherlich eine, die nicht in der Lage ist, sich an diese Gegebenheiten anzupassen.

Sich selbst regelmäßig zu hinterfragen, zu lernen und sich weiter zu entwickeln sind dagegen schon mal gute Voraussetzungen dafür, dass du eine gute Führungskraft bist.

Wenn du also…

  • in der Lage bist, dich realistisch selbst einzuschätzen
  • offen bist zu lernen
  • die Fähigkeiten deiner Mitarbeitenden wertschätzt und dies auch zeigst
  • anerkennst, dass sie vielleicht mehr zur Lösung eines Problems beitragen können, als zu selbst
  • trotz aller Unsicherheiten bestmögliche Entscheidungen triffst
  • dich menschlich zeigst
  • authentisch bist statt perfekt
  • eine klare Richtung vor Augen hast und die auch verständlich mitteilen kannst

bist du ziemlich sicher eine gar nicht so schlechte Führungskraft.

Und vielleicht noch ein persönlicher Gedanke zum Schluss: den wahren Impact, den wir als Führungskraft haben, zeigt sich oft sehr viel später und ganz anders, als wir denken.

Was ich persönlich immer wieder faszinierend finde ist, wenn mir ehemalige Mitarbeitende Jahre später sagen, wie sehr ein bestimmter Satz von mir sie geprägt, ermutigt oder geleitet hat. Ich selbst kann mich an die Situation oder den Satz häufig gar nicht mehr erinnern. Aber für meine Mitarbeitenden hat es einen enormen Unterschied gemacht.

Mir selbst ging es als Mitarbeitende oft ähnlich: auch ich habe solche Sätze und prägende Leadership Situationen erlebt, für die ich meinen ehemaligen Führungskräften sehr dankbar sind. Vielleicht wäre das ein guter Anlass, heute einfach mal ein paar „Dankeschöns“ zu verschicken.

Wie siehst du das – was macht für dich eine gute oder schlechte Führungskraft aus? Ich freue mich, wenn du deine Gedanken in einem Kommentar teilst.

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4 Kommentare zu „Bin ich eine schlechte Führungskraft?“

  1. Ann-Christine Hamisch

    Liebe Evelyn,

    was für eine wunderbare Zusammenfassung zum Thema Führung! Sie macht auch deutlich, wie viel – oft nicht Gesehenes – hinter Führung steckt (als Führungskraft fragt man sich ja schon manchmal: „Was mache ich eigentlich den ganzen Tag?“).

    Und das mit den prägenden Sätzen ist sehr wahr!

    Beste Grüße
    Ann-Christine

    1. Vielen Dank für deine Rückmeldung, liebe Ann-Christine.
      Und ich hoffe, du hast dich in der ein oder anderen Beschreibung meiner positiven Erfahrungen mit Führungskräften wieder erkannt 😉

  2. Liebe Evelyn,
    wie schön, dass Du meine Blogparade noch aufgegriffen hast – und mit einem so spannenden Blickwinkel!

    Dass Führung Kraft kostet, finde ich eine starke und sehr treffende Perspektive. Sie wird oft übersehen – besonders von außen. Und dass sich meist die „Falschen“ reflektieren, erlebe ich auch immer wieder. Es sind oft gerade die Verantwortungsbewussten, die sich selbst hinterfragen – während andere unbeirrt weitermachen.

    Danke für Deinen Beitrag! Ich freue mich sehr, dass Du damit die Sammlung bereicherst.

    Herzliche Grüße
    Andrea

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